Minister Jari Leppä:
Die Landwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen: welche Agrarpolitik braucht Europa?
Rede im Grüne Woche-Seminar des DBV und des MTK am 16.01.2019, Botschaft von Finnland, Berlin.
Sehr geehrte Frau Ministerin Klöckner, sehr geehrte Vorsitzende, sehr verehrte Gäste, Zuhörer und Freunde,
es ist für mich eine große Freude und Ehre, mit Ihnen hier in Berlin über die Zukunft
der Agrarpolitik zu sprechen. Ich danke Ihnen, Frau Ministerin Klöckner und Herr Vorsitzender
Rukwied für den Gedankenaustausch; es ist selten so klar geworden, wie
wichtige und interessante Zeiten wir mit der Reform unserer Gemeinsamen Agrarpolitik
durchleben.
Bevor wir der Sache auf den Grund gehen, ist es vielleicht angebracht zu erklären,
warum ich mit diesem zufriedenen Gesichtsausdruck hereingekommen bin. Es ist
nämlich so, dass Wochen wie diese in der Laufbahn eines finnischen Ministers nicht
sehr oft vorkommen – dass man ein Teil eines so großen Engagements zur Verbesserung
der Sichtbarkeit der finnischen Lebensmittel sein darf. Auch ich als Landwirt und
Milchproduzent habe die langfristige und unermüdliche Arbeit erlebt, die in Finnland
geleistet wurde, um die Anerkennung von hochwertigen Lebensmitteln auf nationaler
und internationaler Ebene zu fördern. Diese Arbeit findet hier in der Grünen Woche
ihren würdigen Höhepunkt, wenn wir unsere Lebensmittelkultur der ganzen Welt vorstellen
dürfen. Um an diesen Punkt zu gelangen, haben alle Beteiligten großen Einsatz
geleistet – es hat sich aber ohne jeden Zweifel gelohnt.
Und nun bin ich mächtig stolz darauf, dass ich in den nächsten Tagen allen Menschen
– seien es Kollegen, Partner, Messegäste, Bekannte oder Unbekannte, einfach allen
die mir zuhören wollen – über Finnland und finnische Lebensmittel erzählen darf. Sie
kennen sicherlich das Gefühl, wenn Sie ein leckeres Rezept gefunden und die besten
Rohstoffe zusammengesucht haben und es kaum erwarten können, dass Sie Freunde
zum Essen einladen können. Als Minister des Partnerlandes darf ich dieses Gefühl
hier den Rest der Woche in vollen Zügen genießen. Wir haben enorm viel zu zeigen –
sowohl ofenfrische Produktinnovationen als auch heiß begehrte Traditionsprodukte.
Ich kann es kaum erwarten, dass wir Ihnen diese vorstellen können.
Dies ist ein entzückendes Startsignal für dieses Jahr, das für Finnland in vielerlei Hinsicht
wichtig sein wird. Unsere EU-Präsidentschaft beginnt im Juli, was wieder ein bedeutendes
Schaufenster für unser Land bietet. Außerdem ermöglicht sie uns einen Logenplatz
zur Förderung der Vorbereitung für die Gemeinsame Agrarpolitik und legt die
Grundlage, auf welcher wir bis zum Jahr 2027 (zweitausendsiebenundzwanzig) handeln
werden. Unsere Wünsche und Ziele für die Präsidentschaft bestehen selbstverständlich
darin, den Landwirten möglichst bald Sicherheit über den Inhalt der künftigen
Politik und Finanzierung zu übermitteln.
Alle Beteiligten haben bereits die Situation erkannt und festgestellt, dass eine Feinabstimmung
wie bei der letzten Reform nicht mehr ausreicht – umfassendere Änderungen
sind nötig, um den neuen Herausforderungen wirksam begegnen zu können.
Gleichzeitig ist es jedoch wichtig, dass gleiche Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft
im gesamten EU-Gebiet gewährleistet und die Vitalität des ländlichen
Raums gefördert werden. Ohne einen lebendigen ländlichen Raum hat die auf europäischen
Familienbetrieben beruhende Landwirtschaft keine Zukunft.
Die Gewährleistung der Vitalität des ländlichen Raums erfordert einerseits zielgerichtete
Maßnahmen in verschiedenen Mitgliedstaaten und anderseits eine ausreichende
Finanzierung zur Realisierung der Entwicklungsmaßnahmen des ländlichen Raums.
Was das Erste anbelangt, so werden in dem Vorschlag der Kommission bedeutende
Schritte in die richtige Richtung unternommen – die Stärkung der Subsidiarität und
eine noch bessere Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Landes haben
eine zentrale Bedeutung für den Aufbau einer wirksameren und effektiveren Agrarpolitik.
Was das Zweite anbelangt, so gibt es hinsichtlich der starken Finanzierung noch
erheblich viel zu tun – vor allem bei der starken Finanzierung der Zweiten Säule – und
während unserer Präsidentschaft möchten wir bei diesen Finanzierungsfragen deutlich
vorankommen.
Finnland ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Agrarland. Die nordische Lage,
eine kurze aber sehr intensive Wachstumsperiode sowie der lange schnee- und frostreiche
Winter verleihen nicht nur den Produkten ein eigenes Aroma, sondern bringen
auch eigene Herausforderungen für die Landwirte. Die Umstände erfordern besondere
Aktionen für den Inhalt der gemeinsamen Agrarpolitik. Zu den Grundsätzen der
EU-Agrarpolitik gehört, dass das Betreiben der Landwirtschaft überall in der EU möglich
sein muss, auch in den benachteiligten Gebieten. Daran müssen wir uns halten.
Landwirtschaft bedeutet viel mehr als nur ein diesbezügliches Endprodukt. Die Landwirtschaft
ist eine Kette mit arbeitsplatzschaffender Wirkung, vom Hof bis zum Handel;
sie ist eine gepflegte und lebendige Kulturlandschaft und ein Kulturerbe; sie ist eine
generationsübergreifende Kette von Erzeugern, Dienstleistungsanbietern, Veredlern
und Verbrauchern. Auch in Zukunft brauchen wir eine vielfältige Landwirtschaft, um
einer wachsenden Lebensmittelproduktion gerecht zu werden. Für die Voraussetzungen
der Erzeuger ihre Arbeit zu verrichten, ihre Tätigkeit weiterzuentwickeln und zu
erneuern, muss Sorge getragen werden.
Zur selben Kategorie zähle ich auch die Freiheit der Landwirte, sich auf den Anbau
konzentrieren zu können – und nicht nur auf eine übergenaue Einhaltung der Regelungen.
In dieser Hinsicht halte ich das neue, von der Kommission vorgeschlagene ergebnisorientierte
Umsetzungsmodell als eine gute Verhandlungsgrundlage. Wir alle
wissen, dass die GAP-Regelungen gegenwärtig viel Vereinfachungspotenzial haben.
Ich bin hoffnungsvoll, dass die Stärkung der Subsidiarität und die Verbesserung der
Vereinfachungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten zumindest etwas Erleichterung für
die Landwirte und die Verwaltung in dieser Hinsicht bringen werden.
Eine langfristige Weiterentwicklung der Tätigkeit auf jedem Hof setzt voraus, dass die
Herausforderungen mit ausreichender Genauigkeit früh genug erkannt, und diese mit
der erforderlichen Ernsthaftigkeit berücksichtigt werden. Es ist meiner Meinung nicht
zu viel verlangt, dass das Gleiche von uns Politikern gefordert wird. Auf EU-Ebene sehen
wir uns mit dieser Art von Herausforderungen vermutlich mehr konfrontiert als uns lieb ist.
Die Auswirkungen mancher Herausforderungen und die erforderlichen Maßnahmen
sind leichter vorauszusagen, andere erheblich schwerer. [Außerdem haben
wir noch den Brexit, von dem wir vielleicht besser gar nichts mehr vorauszusagen versuchen.]
Der Klimawandel und die Anpassung daran werden unser Leben in den nächsten
Jahrzehnten bestimmen, egal ob wir dies wollen oder nicht, und es ist klar, dass die
Landwirtschaft zur Anpassung an den Klimawandel und zur Eindämmung der Auswirkungen
des Klimawandels beitragen muss. Dieser Beitrag muss mehr sein als wir momentan
tun, und ein ambitioniertes gemeinsames EU-Anforderungsniveau ist begründet.
Gleichzeitig müssen die Lösungen jedoch so konzipiert sein, dass wir schließlich
nicht von allen Mitgliedstaaten die gleichen Maßnahmen verlangen – ohne die jeweiligen
Naturbedingungen und die dadurch resultierenden Anbauverfahren zu berücksichtigen.
In dieser Hinsicht wäre ich bereit, die Subsidiarität der Mitgliedsstaaten zu stärken, um
solche Klimamaßnahmen zu finden, die wirksamer und durchführbarer sind. Dies bedeutet
kein Zurückschrauben des Anforderungsniveaus, sondern zum Beispiel eine
bessere Berücksichtigung der Anforderungen an die ganzjährige Vegetation in der
Hinsicht, was die Umsetzung dieser Anforderung etwa bei Schnee und Bodenfrost bedeutet
und welche Auswirkung dies auf die Landwirte und Anbaupraktiken hat. Wir in
Finnland haben zum Beispiel nur beschränkte Möglichkeiten zum Anbau des Wintergetreides.
Eine ähnliche Situation haben wir auch in Bezug auf den Verlust der Biodiversität vor
uns. Die Bedrohung ist erheblich und die Lösungen sind wegen der Art des Problems
fast immer lokal. Dadurch wie wir uns schließlich diesen Fragen annähern, und wie
viele Instrumente wir den Mitgliedstaaten geben, um die Probleme lokal und auf eine
regional wirksamere und im Sinne des gemeinsamen Ziels zu lösen, wird entscheiden,
wie erfolgreich wir als EU sind.
Ein erhöhtes Anforderungsniveau bei abnehmender Finanzierung ist jedoch keine
funktionsfähige Kombination. Es ist begründet zu fragen, wie nachhaltig es ist, von
den im Regelungswirrwarr versunkenen Landwirten immer mehr für das gemeinsame
Wohl zu verlangen und dafür immer geringere Entschädigungen anzubieten. Wenn wir
unsere Ziele erreichen wollen, müssen die Anreize stimmen.
Ebenso empfinde ich, dass wir uns auf EU-Ebene zur Förderung des Tierwohls noch
mehr einsetzen können – sowie zur Bekämpfung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenz
und Tierseuchen, um einige Beispiele zu nennen. Bezüglich der länderübergreifenden
Risiken ist es besonders wichtig, dass wir eine neue und ambitioniertere Zusammenarbeit
auf bereits bewährten Praktiken aufbauen.
Die Mitgliedstaaten haben in der Vorbereitung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens
ein enormes Unterfangen vor sich. Für die neuen Schwerpunkte ist eine Finanzierung
nötig, und die traditionellen Politikbereiche fallen wieder Kürzungen zum Opfer.
Das Finden eines richtigen und ausgewogenen Gleichgewichts wird harte Arbeit
sein. Die Gemeinsame Agrarpolitik braucht jedoch zur Unterstützung eine stabile Finanzierung,
die das Erreichen der Ziele ermöglicht und die Betriebsbedingungen der
Landwirte gewährleistet.
Wenn wir über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik sprechen, sprechen wir
gleichzeitig über die Zukunft der EU. Die Gemeinsame Agrarpolitik ist einer der ältesten
Bereiche der Integration, ein wesentlicher Teil des Binnenmarkts und eine der
wichtigsten Errungenschaften der EU. Das, in welche Richtung die Mitgliedstaaten die
Gemeinsame Agrarpolitik entwickeln möchten, sagt über die Zukunft der Integration
und die Erneuerungsfähigkeit der EU auch im breiteren Zusammenhang aus. Gerade
die Gemeinsame Agrarpolitik gehört meiner Meinung zur Kerntätigkeit der EU – und
dies wird auch in Zukunft so bleiben.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich das Jahr 2019 (zweitausendneunzehn) für all diejenigen,
die in der Agrarpolitik involviert sind, zwar sehr arbeitsintensiv, aber zugleich
auch als eine außergewöhnlich interessante und hoffentlich auch sehr dankbare Zeit.
Ich meinerseits kann mir keinen besseren Beginn für das Jahr vorstellen. Ich bin mir
sicher, dass ich nach dieser Berliner Grünen Woche noch überzeugter davon bin,
dass Rohstoffe und Produkte der Spitzenklasse aus den EU-Staaten mehr und vielseitiger
als jemals zuvor angeboten werden. Zu diesem Anlass möchte ich Sie ganz herzlich
zu unserem Stand einladen. Dort warten kulinarische Köstlichkeiten und eine
warmherzige Atmosphäre auf Sie.
Vielen Dank.